Am 1.10.2012 wurde auf typo3.org eine weitreichende Änderung publiziert, die wieder einmal kontrovers aufgenommen und diskutiert wurde.
http://typo3.org/news/article/a-brand-new-way/
http://typo3.org/the-brand/a-brand-new-way/
Aber zunächst die Fakten: Ab sofort dient TYPO3 nicht mehr als Name für das seit 15 Jahren auf dem Markt befindliche Content Management System, sondern das TYPO3 Marketing Team (offenbar verantwortlich für den Namenswechsel) erhebt diesen Namen nun zu einer sogenannten Dachmarke. Man ist im Marketing Team davon überzeugt, dass TYPO3 ein eingeführter und starker Brand ist und will sich dies nun zu Nutze machen um die Markenwelt TYPO3 ansich zu stärken. Man geht also bewusst den Weg das erfolgreichste Produkt zur Dachmarke zu verwässern anstatt eine neue Dachmarke zu etablieren, die die Mono-Marke selbst stärkt.
Die Wikipedia erklärt hierzu: „Als Dachmarke wird innerhalb des Marketing die übergeordnete Marke eines sogenannten Markensystems bezeichnet, die sich durch einen besonders hohen Wiedererkennungswert (Reichweite) und in der Regel eine große Akzeptanz in der Zielgruppe auszeichnet und selbst keine eigentlichen Leistungen (Produkte/Dienste) bewirbt.“
Da also die Dachmarke TYPO3 keine eigentliches Produkt mehr darstellen kann, muss dafür nun ein neuer Name gefunden werden – dies wurde auch vom Marketing Team (offenbar in Absprache mit vielen anderen Teams und hoffentlich auch der TYPO3 Association) in zahlreichen Gesprächen gefunden: CMS – zusammen mit der Dachmarke heißt das CMS also nun komplett ausgeschrieben: TYPO3 CMS
Richtig – das was früher TYPO3 hieß und ein CMS darstellte – hat nun den Solomarkennamen CMS erhalten. Ich persönlich kann mir keinen generischeren Namen vorstellen. Auf Twitter und in Kommentaren zu Postings auf typo3.org wurde schnell gegengerudert und erklärt, das man im täglichen Sprachgebrauch sowieso nur TYPO3 zu TYPO3 CMS sagen würde – das wiederum würde die Dachmarke nicht nur schwächen, sondern auch verwässern und man hätte sich den Aufwand gleich sparen können.
Anleihen hat sich das Marketing Team offensichtlich bei der Apache Software Foundation genommen, deren Hauptprodukt der „Apache HTTP Server“ ist – nur im Unterschied zum Produkt TYPO3 war dies schon immer und von Anfang an der Name dafür. Die Dachmarke war also direkt aus einem Bestandteil Namens (und nicht dem ganzen Namen) gegründet worden. Sämtliche Solomarken (wie CouchDB oder SOLR) stellen eigenständige und starke Namen dar und stehen im täglichen Gebrauch stets für sich alleine.
Weiterhin wurde das bereits seit vielen Jahren eingeführt Application Framework FLOW3 ebenfalls umbenannt und zwar (aus Sicht des Marketing Teams) folgerichtig in TYPO3 Flow. Auch dies ist ein für viele Leute nicht mehr nachvollziehbarer Schritt. Arbeitete man jahrelang daran, das Framework auch außerhalb der TYPO3-Welt bekannt zu machen, so stellt die Umbenennung einen Schritt ins komplette Gegenteil dar. Eventuell ein Richtungswechsel den man auch beabsichtigt. So wird sich diesem Framework sicherlich niemand nähern, der prinzipiell an TYPO3 CMS nicht viel gewinnen konnte.
Aber damit noch nicht genug man hat sich bei einigen Entwicklungen nun auch entschlossenmm, diese in Produkte umzuformen und dort die Dachmarke davor zu setzen, es gibt nun also TYPO3 Fluid für die Templating Engine Fluid, welche offenbar mittelfristig als völlig autonome Templating Engine auch außerhalb der TYPO3 Welt eingesetzt werden soll (denn sonst würde eine Markenbildung keinen Sinn machen) und auch TYPO3 Extbase (der neue Name für die Übergangs-Transfer-Technologie Extbase) soll offenbar außerhalb des TYPO3-Universums Karriere machen – auch hier würde eine Solomarke keinen Sinn machen, wenn man dies lediglich so einsetzt wie bisher geschehen. Zudem soll das Produkt TYPO3 Surf den Markt erreichen.
Schauen wir uns nun an, wie die Zukunft aussehen wird:
- Die offizielle Zertifizierung „Certified TYPO3 Integrator“ muss nun also folgerichtig abermals (nach der Änderung der Versionsnummer-Politik Anfang des Jahres) angepackt werden und dort muss die Prüfung nun „Certified TYPO3 CMS Integrator“ heißen – inkl. Umbenennung der Prüfungsbögen, Website, Logos und Zertifikate.
- Die beliebten TYPO3camps müssen allesamt umbenannt werden, wenn die Veranstalter dort keine TYPO3 Surf, TYPO3 Flow oder ähnliche Themen haben wollen – beispielsweise in TYPO3 CMS Camp. Damit einhergehend natürlich alle Websites dazu, Social Media Accounts (wie FB und Twitter), Sponsoring-Unterlagen, Logos, Vorlagen wie Vereinbarungen mit Sponsoren u.s.w.u.s.f.
- Sämtliche auf dem Markt befindliche Buchtitel müssen angepasst werden – ein Buch wie „Zukunftssichere TYPO3-Extensions mit Extbase und Fluid“ muss dann also „Zukunftssichere TYPO3 CMS Extensions mit TYPO3 Extbase und TYPO3 Fluid.“ Heißen. Ein „TYPO3 Kochbuch“ dann natürlich „TYPO3 CMS Kochbuch“. Selbstverständlich ist es nicht damit getan, lediglich den Titel auszutauschen. Verlage haben entweder noch viele Exemplare auf Lager und können gar nicht nachdrucken, oder die Bücher werden als überarbeitete Werke nachgedruckt. Dafür muss sich aber der Autor bereit erklären – dies ist in vielen Fällen nicht möglich, da diese eventuell keine Zeit und Lust haben. Der Verlag wird dann diese Titel folgerichtig aus dem Angebot nehmen. Meine Prognose ist, das sich der Buchbestand innerhalb der nächsten 6-10 Monate halbieren wird. Dies hat einen unmittelbaren Einfluß auf TYPO3. Es wird damit weit weniger wahrgenommen und hebt die Einstiegshürde enorm.
- Messen bzw. Konferenzen wie die „F3X – FLOW3 Experience“ würde dann natürlich „TFX – TYPO3 Flow Experience“ heißen müssen. Auch hier natürlich alle Folgekosten, wie CI-Änderung, SEO-Verlust, …
- Foren wie typo3.net müsste dann eigentlich typo3cms.net heißen, da dort eventuell keine TYPO3 Surf und TYPO3 Flow Themen diskutiert werden würden. Ebenso typo3blogger.de und ähnliche.
- Usergroups wie die MTUG – Munich TYPO3 User Group müssen nun ebenfalls allesamt umbenannt werden. Neue Logos, Website Anpassungen, Wording, Mailingliste, alle Eventanmeldungen, externe Kalendereinträge, eventuelle Mietverträge, …
- Alle Mailinglisten und Newsgruppen müssen selbstverständlich ebenfalls umbenannt werden, da z.B. eine Mailliste „TYPO3-english“ irreführend wäre – geht es doch dort um das CMS und nicht um die Dachmarke. Daher wird diese „TYPO3CMS-english“ heißen müssen. Alle über Jahre aufgebauten Links laufen damit natürlich ins Leere. Oder man behält die alten Links bei und sorgt damit für noch mehr Verwirrung.
- Die „T3CON“ wird selbstverständlich ebenfalls eine gemeinsame Veranstaltung aller Solomarken bleiben und somit eine Stärkung der einzelnen Marken verhindern. Anderenfalls wird man eine „T3FCON – TYPO3 Flow Conference“ oder ähnliches etablieren müssen.
- Selbstverständlich muss auch die gesamte Logo-Welt überarbeitet werden – alle Marken brauchen und benötigen eigenständige Logo – das bekannte TYPO3-Logo wird lediglich die Dachmarke repräsentieren können.
- Auch wird es eine Restrukturierung aller Teams geben müssen – ein TYPO3-Press-Team wird sicher nicht die Pressearbeit für die Dachmarke und alle Solomarken machen können. Also muss es mittelfristig einen Pressesprecher für TYPO3 Flow und TYPO3 CMS und TYPO3 NKOTB geben müssen.
- Sämtliche TYPO3-Websites müssen nun erneut angepasst werden um das Rebranding überall zu transportieren – ein gigantischer Aufwand – zeitlich und finanziell. Zudem müssen alle offiziellen Werbemittel erneuert werden, der Messestand,
- Das „Professional Services Listing“ muss angepasst werden – heute bietet es einen Überblick über die Leistung „TYPO3 CMS“, da die Website nur für das CMS zuständig war. In Zukunft muss dort vermerkt werden, ob der Dienstleister Kentnisse in „TYPO3 CMS“, „TYPO3 Flow“, „TYPO3 NKOTB“ u.s.w. hat. Zusätzlich müssen natürlich die Kriterien selbst komplett überarbeitet werden.
- Alle Schulungsanbieter weltweit dürfen nun ebenfalls ihre Schulungsbeschreibungen anpassen und damit einhergehend natürlich auch ihre Schulungsunterlagen. Sind diese es doch (zusammen mit den Autoren), die das System in die Welt tragen und möglichst vielen zugänglich machen.
- Selbstverständlich dürfen nun auch alle Dienstleister Ihre Webseiten entsprechend anpassen – auch dies wird einen gewaltigen Aufwand erzeugen. Es ist davon auszugehen, dass dies lange nicht alle machen werden und können. Damit werden wir einen weitere Verwässerung der Marke bekommen, wenn ca. 50% ihre Websites entsprechend anpassen und die anderen 50% nicht.
- Um einen halbswegs professionellen Eindruck zur Außenwelt zu wahren, muss schließlich auch die Pressearbeit das Rebranding nach außen transportieren – dies ist bislang nicht passiert.
- Das Sponsorkonzept auf typo3.org muss ebenfalls überarbeitet – diente es bislang vornehmlich als Unterstützung für „TYPO3 CMS“. Auch wenn es grundsätzlich ein Association Sponsoring ist, so war es immer mit der Intention dieses eine Produkt zu fördern. Zuerst nur für die Version 4.x und dann für die Version 5.x, die die 4.x ablösen sollte. Mit einem Gemischtwarenladen wie wir ihn nun haben (und dieser wird ja – wenn es nach dem Wunsch des Marketing Teams geht – immer größer) kann das Sponsoring-Konzept nicht so weiterlaufen. Entweder muss es direkt Produktbezogen sein oder man muss die Möglichkeit haben dürfen, sein Geld bestimmten Produkten NICHT zur Verfügung zu stellen, wenn man nicht will, das mit einer Gleichverteilung die Marke des bevorzugten Produktes verwässert wird.
- Die Markenwelt muss natürlich auch juristisch angemeldet bzw. umgemeldet werden – und das weltweit. Zusätzlich die Wort-Bild-Marke aller Marken inkl. der Dachmarke, deren Markenzweck nun verändert wurde.
- Durch die Umbenennung von FLOW3 in „TYPO3 Flow“ müssen nun ALLE Anwendungen aktualisiert werden, sofern sie mit einem aktuellen Core 2.0 zusammen arbeiten wollen. Schätze es werden nicht wenige Entwickler dank dieser Entscheidung dem Framework den Rücken kehren. Selbst für die, die das nicht tun, stellt dieser Schritt einen unnötigen Aufwand dar.
- Unternehmensberatungen und Marktforschungsinstitute wie Gartner bekommen TYPO3 langsam auf den Schirm – dies kann und wird sich ggf. mit dem Branding Change wieder nach hinten verschieben, da ein derartiges Verhalten von außen auf Instabilität im Projekt hinweist.
- Auch die Wikipedia-Seite selbst beispielsweise muss in weiten Teilen komplett neu geschrieben werden. Bestehende Referenzen darauf werden teilweise nutzlos bzw. verwässern ebenfalls.
- … u.s.w.
Alleine die Kosten (und der Zeitaufwand) für die obigen Punkte möchte man sich nicht vorstellen – meist finanziert von den Mitgliedsbeiträgen der Association Mitgliedern, die in den Prozess an keiner Stelle eingebunden waren. Auch wird der Zeitraum, der obiges umsetzen muss (und die Auflistung ist lange nicht komplett) sicherlich 1-2 Jahre dauern. Ein Prozess, der das Projekt TYPO3 vom Standpunkt des Images auf dem Markt sicherlich deutlich nach hinten rücken wird.
Betrachtet man die obigen Punkte, stellt man schnell fest dass die Entscheidung entweder ein absolut unüberlegter Schnellschuss war oder aber von Leuten getroffen wurden, die ohne die nötige Kompetenz in den Entscheidungsprozess eingebunden wurden. Wäre hier eine Fachkraft im Bereich Marketing und Markenführung eingebunden worden – hätte man diesen Prozess deutlich anders gestaltet und vor allem nicht zum Nachteil der Marke. Eventuell hätte man einen minimalen Bruchteil der Kosten, die in die Entwicklung geflossen sind, spendiert, um eine Agentur zu beauftragen, die sich in derlei Dingen auskennt.
Nicht davon ist zum jetzigen Zeitpunkt vorbereitet – eine professioneller Marken-Relaunch sieht deutlich anders aus. Es gibt – bis auf obige beiden Links – keinerlei weiteren Hinweise auf eine Änderung. Weder ist ein Markenrelaunch auf typo3.org durchgeführt worden (dort befindet sich überall noch das alte Wording und die alten Logos), noch wurden Anweisungen an (wenigstens die) TYPO3 Association Mitglieder verteilt, die klären, welcher Namen, welcher Logo wo und in welchem Zusammenhang verwendet werden soll. Eine entsprechend Pressemitteilung ist selbstverständlich ebenfalls nicht verschickt worden.
Hinzu kommt die Informationspolitik – auch hier wurde – wie bereits viele Male zuvor – nicht auf Transparenz und Demokratie gesetzt. Eigentlich sollte das Projekt Perestroika gerade dazu ermutigen. Das Rebranding ist aber in meinen Augen genau das Gegenteil und wird – meiner Meinung nach – dem TYPO3 Projekt langfristig einen irreparablen und eigentlich vermeidbaren Imageschaden zufügen – leider.
Gastkommentar Patrick Loacher, 03.10.2012